Montag, 6. Juli 2009

Mit Socken durch´s Ritz

Frauen und Mode - diese Liebe oder Vorliebe wird wohl niemals je ein Mann verstehen. Aber irgendwelche angeborenen Urinstinkte sagen uns Frauen, dass wir uns herausputzen, verkleiden, stylen und gleichzeitig aber auch anpassen müssen. Und zwar dem Modediktat der meist schwulen italienischen und spanischen Designer, die wiederum jede Saison meist schicke, aber nicht immer bequeme Verkleidungsvorschläge für die weibliche Bevölkerung kreieren.

In dem Jahr, als diese Geschichte passiert ist, hatte ich ungeheueres Glück, was die Mode betrifft. Leder und flache Stiefel sind der letzte Schrei.

Ich bin geschäftlich in London! Durch Zufall habe ich an den aufregenden Job ergattert - Männerunterhosen in einer Benchmark-Studie mit Preis, Stil, Verkaufspräsentation in den Londonern Kaufhäusern miteinander zu vergleichen. Dazu sollte ich noch das Kaufverhalten der Kunden analysieren.

Eigentlich ja kein schwieriger Job, außer das es doch mit der Zeit etwas auffällt, wenn man als Frau stundenlang zwischen den Wühltischen der Männerunterwäschenabteilungen umher stromert.
Dazu war ich natürlich auch noch super gestylt. Weiße modische Lederjacke, weiße hautenge Lederhose und dazu die passenden weißen Lederstiefelchen! Meine langen blonden Haare standen zu dem strengen Lederstil im krassen Gegensatz und dadurch fiel ich einfach auf. Ich war natürlich der Meinung, ganz schick und supertoll rüberzukommen!

Mit diesem Auftreten durchforstete ich die erste Männerunterhosenabteilung eines riesigen Kaufhauses und schrieb immer fleißig mit, wieviel der getigerten, der Feinripp und der Militäranmuteten Unterhosen bis "Zweimannzelte"über den Ladentisch gingen. Ganz offen wandele ich leicht naiv mit meiner Studienmappe durch die Auslagen. Die irritierten Blicke der kaufenden Männer stören mich kein bißchen - schließlich ist das ja alles rein wissenschaftlich, was ich hier treibe.


Als ich aber nach einer halben Stunde von einem Securitymann aufgefordert werde, das Kaufhaus sofort zu verlassen, nachdem ich ihm von meiner Arbeit für eine deutsche Firma erzählt habe, werde ich etwas vorsichtiger.
Beim nächsten Kaufhaus stelle ich mich schon wesentlich geschickter an. Wie ein Spion verstecke ich mich hinter den Vitrinen und beobachte heimlich die Männer durch das Glas, schleiche leicht gebückt durch die Auslageregale und schreibe in meiner Tasche die Daten und Fakten in meine Unterlagen. Allerdings scheint das noch weniger gut anzukommen, denn diesmal fliege ich gleich ohne große Erklärung aus dem Kaufhaus.


Daraufhin tue ich einfach nur noch mein Bestes und versuche bei den weiteren Kaufhäusern alles möglichst schnell und unauffällig zu erfassen. Stolz stelle ich fest, dass ich langsam eine gewisse professionelle Routine entwickele und nur noch einmal ein Kaufhaus auf mehr oder weniger gewaltsame Art verlassen muss. So verbringe ich den ganzen Tag und entwickele mich absolut konzentriert zu einer wahren Expertin mit dem Fachgebiet "Männerunterhosen"!


Am meisten freue ich mich aber auf den Nachmittag! Ein gutbetuchter Bekannter, der auch gerade in London ist, erfüllt mir einen langersehnten Wunsch! Teatime im Ritz! Um 16:00 werden wir uns treffen und ich bin schon richtig aufgeregt.


Endlich habe ich auch die Männerwäscheabteilung von Harrods hinter mir und laufe noch in den Green Park. Meine Füße schmerzen so langsam, obwohl ich diese superschönen, weichen, flachen, weißen Lederstiefelchen anhatte. Bei jedem Schritt mit meinen neuen Designerschühchen spüre ich einen brennenden Schmerz - und zwar an beiden Füßen.


"Ach, dass gibt sich wieder...Überanstrengung", denke ich mir und suche ein ruhiges Plätzchen auf einer Rasenfläche in der Parkanlage. Mit Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass ich noch herrlich eine Stunde entspannen kann. Neugierg ziehe ich meine Stiefel aus, um zu sehen, wo die Wurzel der Schmerzen liegt und siehe da, meine Socken sind blutrot und ich habe an beiden Fersen eine riesige, offene Blase. Mir wird sofort schlecht!

Sich so etwas anzuschauen ist psychologisch nicht unbedingt vorteilhaft. Sofort pocht und sticht es an diesen Stellen richtig heftig und ich habe höllisch brennende Schmerzen.
"Oh, nein!" Ich stöhne wehleidig vor mich hin. "Wie soll ich nachher nur wieder in meine Schuhe kommen?"


Vielleicht ziehe ich sie am besten gleich wieder an und ertrage den Schmerz. "Autsch!" NEEEEE, das geht gar nicht!" stelle ich schnell fest. Genügend Geld für ein paar offene Gesundheitsschlappen hatte ich auch nicht mehr dabei. Meine Geldreserven hatten sich in den Damenabteilungen der Kaufhäuser in Wohlgefallen aufgelöst.


Ein Blick auf die Uhr und mir war blitzartig klar, dass ich mich entscheiden musste.


Teatime - oder nicht! "Nichts, da!" dachte ich mir. "Nach dem stressigen Tag habe ich mir das echt verdient!"

Mit meinen Stiefeln in der Hand und mit blutroten Flecken an den Fersen mache ich mich auf den Weg zum Ritz. Ein Türsteher mit goldbehafteter, roter Uniform blickt arrogant geradeaus, doch als ich mit bestimmten Schritten trotzig mit meinen Stiefeln in der einen Hand und der Einkaufstüte in der anderen Hand sockig an ihm vorbei stapfe, fallen ihm fast die Augen aus dem Kopf.


Ich lächele ihn an, hebe meine Ferse in seine Richtung und zucke entschuldigend mit der Achsel. Dann stapfe ich weiter! Irgendwie hatte ich mir Mitleid oder Verständnis erhofft, aber er schüttelt entsetzt mit dem Kopf. Da gebe ich Gas und sause durch den Eingang. Er ruft mir etwas hinterher, aber ich lasse mir doch mein geliebtes Teatime nicht von so einem arroganten Schnösel verbieten.
Trotz schmerzender Füße stürme ich schlangenlinienförmig um die Tische, entdecke von weitem meinem Bekannten, winke freudig und fliege fast über einen kleinen rattengesichtigen Hund, der sich mitten im Gang neben einer hochtoupierten älteren Dame platziert hatte. Stolpernd komme ich am Tisch meines Bekannten an und höre schon den Türsteher hinter mir rufen. Alle Menschen schauen mich an und ich drehe mich aprupt um. Dabei fliegt mir ein Stiefel aus meiner schwitzig, aufgeregten Hand und ein netter älterer Herr vom Nachbartisch fängt ihn routiniert wie ein Baseballspieler auf, bevor er auf seinem Tisch zwischen den sandwichs landen konnte. Inzwischen ist der Türsteher aufgerückt und mein Bekannter sowie der Herr vom Nachbartisch reden leise auf ihn ein.


Peinlich berührt und müde sinke ich auf einen Stuhl und will eigentlich nur eines - Teatime - und zwar in Ruhe und mit Genuss!


Nach einigen Minuten verzieht sich der Türsteher wieder, wirft mir aber noch einen bitterbösen Blick zu. Dafür lacht mich der nette Stiefelfänger vom Nachbartisch an und stellt mir den Schuh neben die Einkaufstüte.

"You have lovely boots and it was a pleasure for me to catch this too!"

Ich grinse vergnügt: Sag ich doch, die Stiefel sind echt klasse!

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