Freitag, 26. Juni 2009

Aus heiterem Himmel

Großstadtbesuch! Ich bin auf einer Geschäftsreise in einer westdeutschen Großstadt und habe einen ganzen Nachmittag frei! Herrlich! Das Wetter ist ideal für einen Bummel durch die Einkaufsstraßen. Sonnig, wenn auch etwas kalt! Aber schließlich ist es Herbst und da kann man über jeden Sonnenstrahl froh sein, nicht wahr?
Ich wandel wie auf Wolken durch eine super edle Straßenmeile und blicke in die Auslagen. Fasziniert überlege ich mir, wer sich schon eine getigerte Unterhose für 170 € kauft oder einen unifarbenen Strickpullover für 650 €, wenn er optisch nicht viel mehr hergibt, als ein Pulli bei H & M für 19,90 €?
Ich stelle mal wieder fest, dass ich diese Dinge nicht brauche und lächele völlig selbstzufrieden in meine Umgebung.
Langsam arbeite ich mich von Schaufenster zu Schaufenster. Was für ein schöner Nachmittag. Ich habe das Gefühl, dass ich die Welt umarmen könnte. Endlich mal raus aus meiner Kleinstadt in die große, weite Welt und dann noch Zeit, diese vielen schönen Dinge und toll gekleideten Großstadtbewohner anschauen zu können - Toll!
Mit geschlossenen Augen stehe ich kurz zwischen den Menschen, die an mir vorbeihasten und lasse die Sonne mein Gesicht wärmen. Dann drehe ich mich wieder um und gehe weiter! Vor einem Antiquitätengeschäft bleibe ich stehen und mustere alle Gegenstände genau. Ich liebe Antiquitäten!
Doch irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass mich ein Augenpaar beobachtet. Es ist dieses bohrende Gefühl, dass man im Nacken hat, wenn ein Blick eines anderen Menschen intensiv auf einen selbst gerichtet ist.
Aber als ich mich umblicke, sehe ich nur einen älteren, sehr edel und korrekt gekleideten Herrrn nicht weit von mir, der ebenfalls die Auslage des Antiquitätenhändlers betrachtet.
Leicht kopfschüttelnd mache ich mich von dem Gefühl wieder frei und mein Blick bleibt an einem wunderhübschen Brieföffner im Schaufenster hängen. Er war aus silber und hatte oben am Griff einen Vogelkopf. Die angedeuteten Federn waren aus kleinen bunten Schmucksteinchen zusammengesetzt. Eigentlich etwas kitschig, aber ich sammele alles, was mit kuriosen Vögeln zu tun hat. Und dieser Vogel hier hatte etwas - mit seinem langen Rabenschnabel. Ich lächele den Gegenstand an, und komme mir in dieser sanft, harmonischen Stimmung langsam leicht verblödet vor. Egal, es ist einfach schön heute.
Der Brieföffner würde mich schon sehr reizen! Naja...ich glaube, hier brauche ich eh nicht reingehen. In dieser Einkaufsstraße müsste ich wahrscheinlich mein Auto verpfänden, um mir diesen Brieföffner leisten zu können. Ich zwinkere meinem Vögelchen nochmal zum Abschied zu und will mich gerade wegdrehen, als ein freundliches Gesicht hinter der Scheibe des Schaufensters erscheint. Die nette Frau schaut mich fragend an und zeigt dann auf den Brieföffner. Ich stehe völlig verdattert da und zucke mit den Achseln. "Was will die denn von mir?" frage ich mich perplex. Aber sie lächelt weiter und zeigt dann mit dem Zeigefinger auf mich und dann nochmal eindringlch auf den Brieföffner. Irgendwie merke ich, dass ich automatisch nicke und stehe starr vor dem Fenster. Die Frau nimmt "mein Vögelchen" aus der Auslage und verschwindet.
"Huch....was war denn das?" Mit leicht geröteten Wangen, ziemlich perplex und wie erstarrt stehe ich immer noch blöd rum und versuche meine Gedanken zu sammeln. Mir kommt die Zeit ewig vor, doch endlich kann ich mich wieder rühren.
Bloß weg hier, bevor sie mit dem Kassenbon und dem Brieföffner aus der Tür kommt und ich einen Kredit aufnehmen muss. Schnell drehe ich mich um und will gerade gehen, als mich an der Schulter eine Hand festhält.
Erschrocken halte ich an und blicke über meine Schulter. Hinter mir steht der korrekt gekleidete Herr. Er hat einen blauen, edlen Kaschmirmantel an und einen großen Siegelring an seiner Hand. Das sympatische Gesicht ist von einem gepflegten grauen Vollbart eingerahmt. Um die Augen zeigen tief eingekerbte Lachfältchen, dass hier ein Mann mit Humor steht. Er strahlt über das ganze Gesicht und mir wird irgendwie warm um´s Herz.
"Hallo, es tut mir furchtbar leid. Ich wollte sie nicht erschrecken!"
Stumm schüttele ich den Kopf. Ich blicke ihn immer noch erwartungsvoll und leicht erschrocken mit großen Augen an.
"Ich beobachte sie schon eine ganze Weile. Ich hoffe sehr, sie verzeihen mir dieses Benehmen. Aber ich habe noch nie eine Frau so selbstzufrieden und glücklich in dieser Straße lächeln sehen. Ihre Augen haben geglänzt und hatten nicht diesen gierigen, unzufriedenen Ausdruck, wie man ihn sonst bei den Menschen hier beobachten kann!"

Ich lache! "Ja, das stimmt! Das ist mir auch aufgefallen! Das muss wohl an diesen völlig überflüssigen und überteuerten Sachen liegen, die hier überall angeboten werden!"

Er lacht auch! Mit einer freudigen Geste hält er mir ein kleines Päckchen hin und meint: " Ihr Lächeln hat mir meinen Tag heute so versüßt, dass ich ihnen etwas schenken möchte!"
Peinlich berührt betrachte ich das kleine Paket. Kann ich von einem völlig Fremden einfach ein Geschenk annehmen? Irgendwie ist mir das jetzt total unangenehm!
Ich stottere vor mich hin: " Wissen sie....das ist irgendwie....naja....!"

Der Herr streckt mir das in blaues Seidenpapier eingewickelte Päckchen direkt vor die Hände. Er nimmt meine rechte Hand und drückt es mir hinein.

"Jetzt nehmen sie schon! Bitte! Ich will ihnen nur eine Freude machen, weil sie mir heute einen ganz besonderen Augenblick geschenkt haben. Keine Angst, ich will nichts von Ihnen!"
Er drückt mir meine beiden Hände nochmal fest zum Abschied und seine kleinen Fältchen um die Augen scheinen zu tanzen.
"Bleiben Sie genau so, wie sie sind!"

Mit diesem Satz dreht er sich um und geht weg.
Immer noch eingermaßen verstört beschließe ich, mir einen Kaffee in dem gegenüberliegenden Straßenlokal zu gönnen. Das Päckchen lastet dabei schwer in meiner rechten Hand.
Während ich auf meine Bestellung warte, schlage ich vorsichtig das blaue Seidenpapier auseinander. Darunter kommt eine dunkelrot, samtige Schatulle zum Vorschein. Neugierig und ganz vorsichtig, mit geneigtem Kopf spitze ich in die halb aufgeklappte Schachtel.
Meine Augen werden riesig und mein Herz klopft wie wild!
In Samt gebettet liegt vor mir der wunderschöne Brieföffner mit dem Vogelkopf!

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